Hintergrundbild

WRONG HAIRCUT
Die Erfinder des »Shantybilly«

Maret und Iko auf Weltreise
Brief 7 vom 01.08.2005


Der Atlantische Zirkel - von den Azoren nach Pellworm

Wir stehen bis zum Hals im Wasser. Maret ist unterwegs und pult die fetten Fische aus dem 100 Meter langen Meeräschennetz. Jeje, der Fischer, steht auf seinem abgeschrabbelten Alu-Dinghy, sieht dabei aus wie Harpo Marx und gibt Anweisungen an uns sieben Helfer, die wir das lange Netz durch den Priel ziehen. Das Wasser läuft heute nicht richtig ab und kommt schon sehr früh wieder zurück in die Hever. Deshalb gibt es auch nur einen Fischzug. Die Prielränder stehen bereits unter Wasser, als Hermann den Anker hochholt. Zurück auf Pellworm kommen zwei der frisch filetierten Fische auf den Grill - es gibt kaum etwas köstlicheres. Vor dreißig Jahren gab es hier bei den nordfriesischen Inseln noch keine Meeräschen, sie sind erst im Zuge der langsamen Erwärmung der Nordsee vom Englischen Kanal nach Nordosten gewandert und fressen sich den Sommer über an Kieselalgen und kleinen Wattschnecken satt. Wenn die ersten Herbststürme über die Nordsee ziehen, wandern sie zurück in die Wärme. Wie die Meeräschen sind wir in den letzten Wochen nach Norden gewandert.

Im Gegensatz zu ihnen bleiben wir jedoch hier, zurück in heimatlichen Gefilden, wenn wir auch das Festland noch scheuen. Erster Halt war Norderney, wo Bernd, Uli und Tomke uns begrüßten, dann folgte Pellworm. Am 06.08 segeln wir für 10 Tage nach Wangerooge, Stationen einer behutsamen Annäherung. Die Azoren - Ort unserer letzten Schiffsmeldung - waren so wunderschön, daß wir noch einmal dorthin segeln möchten. Irgendwann, vielleicht in zehn Jahren. Auf diesen Inseln gibt es noch viel zu entdecken.

Kratersee auf Sao Miguel

Kratersee auf Sao Miguel


Auf dem letzten langen Abschnitt der Reise waren wir mit Wiebke zu dritt. Unser Ziel war Falmouth in Cornwall. Wir freuten uns schon über die Aussicht auf entspannte Wachen, fünf, sechs Stunden Schlaf am Stück, was für ein Luxus. Gleichzeitig hatten wir aber auch einen Mordsrespekt, segelt man doch genau in die Tiefdruck-Rennbahn, um überhaupt Westwind zu bekommen. Unsere Strategie lautete: so östlich wie möglich, ohne zu weit in die Biskaja zu kommen, und so nördlich wie nötig.

Bojenbildende Entenmuscheln

Bojenbildende Entenmuscheln


Die ersten drei Tage brachten uns dann aber erst einmal Grönland näher. Nordöstliche Winde, Kreuzschläge im Halbtagestakt. Als der Wind am vierten Tag endlich auf Nordwest drehte, waren wir Falmouth gerade mal 150sm näher gekommen. Mit dem Nordwest zog der ruhige Bordalltag wieder ein. Die Schleppangel hing gerade ein paar Minuten im Wasser, schon zappelte ein Bonito am "Rubbersquid". Anders als an den vorangegangenen Tagen durften wir unsere Etmale jetzt vollständig dem Annäherungs-Konto gutschreiben. Kurs 50° bei 4 Windstärken.

ThunfischAm siebten Tag auf See tauchte gerade mal 5 Meter neben dem Boot der Rücken eines riesigen, grauen Wals auf. Wir drei frühstückten gerade in herrlichem Sonnenschein und waren viel zu ergriffen und überrascht, um in diesem Moment an Photo- oder Filmequipment zu denken. Nachdem er einmal durch seine Blasöffnung geschneuzt hatte, verschwand der Wal wieder in der Tiefe. Ein Tag später hing der fetteste jemals von uns gefangene Thunfisch an der Angel. Die Götter schienen es gut mit uns zu meinen.

Als jedoch am achten Tag von Südwesten Wolken aufzogen, war das schöne Wetter vorbei. Marets Ausflug zum Masttop war dann auch schon nicht mehr so gemütlich. Eine Glühbirne zu wechseln bei wasserschaufelnder Genua ist nur was für Hardcore-Schwindelfreie. Wie gut, daß wir so eine dabei hatten! Die Wolken waren nur die Vorboten eines Tiefdruckgebietes, das ziemlich genau über Südengland ziehen sollte. Die Aussicht auf Starkwind oder sogar Sturm so kurz vor unserem Ziel, was wollten die Götter uns damit wieder sagen? Wir beschlossen, unser Ziel zu ändern. Kein Ankunfts-Pint im gemütlichen Pub im Helford River, sondern was auch immer in Brest? Das schmeckte uns zuerst gar nicht. Aber nachdem wir 10.000 Meilen lang fast immer Glück hatten, wollten wir das Schicksal nicht mehr herausfordern.

Hoch am WindNicht mehr 50°, sondern 80°. Nur unter Fock und später ausgebaumter Genua liefen wir mit 6 bis 8 Knoten über die Wellenberge. Wie schon auf unserer ersten Biskaja-Überquerung begrüßten uns am Rande des Kontinentalschelfes hunderte von Fischerbooten mit gelben Blinklichtern. Hier tobte das Leben! Neben den vielen Fischern, um die herum wir Slalom fuhren, schossen uns große Gruppen von Delphinen entgegen, im grünlichen Meeresleuchten wie illuminierte Torpedos. Der Atlantik gab sich noch einmal richtig Mühe, uns den Abschied schwer zu machen. In der Ferne sahen wir bereits den kreisenden Lichtschein des Leuchtfeuers auf der Ile d´Ouessant. Nach fast elf Tagen auf See legten wir im Morgengrauen des 5. Juli am Schwimmsteg der Marina in Brest an. Der Wein war umgekippt, der Karibikrum tat´s auch als Begrüßungsschluck.

Die Bretagne ist ein sehr anspruchsvolles Gewässer, überall lauern Felsbrocken im Wasser und starke Gezeitenströmungen. Zum Glück hatten wir damals in Jever bei Herrn Figge-Jänke gleich den kompletten Stapel Seekarten gekauft, so besaßen wir auch für dieses Revier alles, was wir brauchten.

Nachdem Wiebke nach Deutschland zurück geflogen war, sind wir durch den Chenal du Four (bis zu 6Kn Strömung) östlich der Ile d´Ouessant zur Nordseite der keltischen Halbinsel gesegelt. In L´Aberwrac´h verbrachten wir eine Woche bei schönstem Sommerwetter, langen weißen Stränden, kleinen Felsinselchen, netten Bretonen, niedlichen Dörfern, einem 14.Juli mit bretonischem Folkrock im Café du Port. Hartnäckiger Seenebel hing jeden Tag wie ein weißer Vorhang vor der Küste. Das Nebelhorn auf der Ile Vierge signalisierte uns, daß wir da draußen ohne Radar nichts verloren hatten.

L`Aberwrac`c, nordwestliche BretagneAls der Nebel sich auflöste, zogen wir weiter. Unser Ziel lag auf der anderen Seite des Kanals, die Isle of Wight. Bald jedoch merkten wir, daß es uns heimwärts zog. Zweimal den Kanal queren bei all den Verkehrstrennungsgebieten ist doch auch Quatsch! Also weiter Richtung Osten. Der Wind war komplett eingeschlafen, doch wir fuhren ja immer noch 200 Liter Diesel aus Antigua mit uns spazieren und die wollten wir schließlich nicht bis ins Winterlager schleppen. Man legt sich die Wirklichkeit halt zurecht, bis sie passt. Unter anderen Voraussetzungen wären wir natürlich keine 420sm bis zum Rheindelta motort. Aber das Pferd roch den Stall!

"Sonntag, 17.07.: Um 11.00 Uhr bekommen wir Besuch. Ein Schlauchboot voll schwarz gekleideter Herren wird auf uns losgelassen. Von den fünfen dürfen vier an Bord kommen, alle mit schickem Wafffenetui an der Hosennaht, sozusagen "am Mann". Der, der im Boot bleiben muß, heißt bestimmt Collins, das war bei der Apollo 11 auch so. Die vier vom französischen Zoll sind sehr höflich und fragen, ob sie denn da mal reinschauen dürften. Na klar. Wir machen eine Bootsführung. Maret geleitet die Herren durch den Salon, sogar die Toilette findet reges Interesse und der Sack mit dreckiger Wäsche. Später loben sie die geschickte Aufteilung des Innenraumes. Alles Ästheten, diese Franzosen. Derweil umkreist uns Collins weiter mit seinem Schlauchboot. Ich sitze draußen und werde über unsere Reise ausgefragt. So interessiert war lange niemand! Nachdem jedes Fitzelchen Papier begutachtet und deren Inhalt vom Commander Armstrong (der, der als erster durfte) an die Zentrale übermittelt ist, verabschieden sie sich wieder. Beim nächsten mal bieten wir ihnen aber zumindest Tee und Kekse an."

Vor Calais erstarb plötzlich die Maschine und wir dachten an ein abruptes Ende der Fahrt, aber es war zum Glück nur eine fette Leine in der Schraube, die Maret mitten in der Nacht mit der Taucherlampe schnorchelnd lösen konnte.

An der Bretagne, den Kanalinseln, der Normandie, Belgien und der Scheldemündung vorbei und dann rechts ab in den Haringvliet. Mal eben so wieder vier Tage und drei Nächte am Stück unterwegs gewesen. Nach 70 Stunden unter Maschine und dem Schrecken vor Calais durften wir auf den letzten Meilen noch einmal segeln. Der Wind nahm kräftig zu, von 0 auf 25 Knoten in einer Stunde. Im Vliet hinter der Schleuse war noch eine Muring für uns frei, die reichte. Hier und heute waren wir zum ersten mal auf unserer Reise zum zweiten mal. Bislang gab es nur Premieren.

Es fühlte sich an, wie ein heimliches nach hause kommen. Um unserem Gefühl Nachdruck zu verleihen, riefen wir unsere Familien an, vom Handy, damit dieses Ereignis auch Bestätigung erfährt, wenn die Abrechnung ins Haus flattert. Wir hatten nach genau einem Jahr unseren atlantischen Zirkel vollendet. Draußen stürmte es, die Makrelen brutzelten in der Pfanne. Eine Flasche Wein von der Loire auf dem Tisch und im Schein der Petroleumlampen ein paar Seiten aus einem guten Buch - wir waren wieder im Norden.

Nach Scheveningen und Ijmuiden trieb der Nordwest-Wind uns weiter nach Norderney. Bernd lag dort mit seinem Boot und wartete auf Mannschaft und besseres Wetter. An der Kaimauer stand ein kleines Begrüßungskommitee, Bernd, Uli und Tomke. Wir waren gar nicht gesprächig, zu kaputt nach dem langen Schlag durch die verkehrsreiche Nordsee. Nach drei Tagen und einem schönen Abend bei Birte und Sascha (das erste mal wieder in einer normalen Wohnung) segelten wir weiter über Helgoland nach Pellworm. Wieder mussten wir motoren, bis zur Ansteuerungstonne Westerhever gab es tatsächlich keinen wesentlichen Luftzug.

../bilder/weltreise/050801_6m.jpg"Wir rufen Silke an. Kommen doch schon früher. Silke schreit durchs Telefon. Wir dürfen nicht so schnell sein. Also lassen wir uns treiben und machen einen Badestop. Trotzdem bewegen wir uns mit 2 Knoten die Hever bergauf. Am südlichen Horizont sieht es düster aus. Die kleine Hallig Süderoog liegt wie ein Scherenschnitt auf der öligen Augsburger-Puppenkisten- Nordsee. Zu lange dürfen wir nicht trödeln. Höhe Pellwormer Leuchtturm taucht ein Kutter auf. Wir setzten unsere gesammelten Gastlandflaggen am Achterstag. Der Kutter fährt uns entgegen. Viele Leute sind an Bord, johlen und rufen. Winkende Arme. Meinen die uns? Jeje mit seinem Kutter hat viele Freunde und Verwandte an Bord (und Herrn Dr.Schlitt, der fotografiert). Was für ein Empfang! Längsseits an der Pel 4 treiben wir am Anleger vorbei. Nebelhörner tröten vom Aussichtsturm. Ein Transparent hängt von der Galerie: You did it - welcome back! Womit haben wir das verdient?"

Liebe Grueße
Maret und Iko
Brief 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11

Hinweis: Die Bilder können durch anklicken vergrößert werden.